Geknickt, getackert und ohne Bedauern – das Arbeitszeugnis als Schimäre

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.11.2017 – 5 Sa 314/17

1. Problem Zeugnissprache und -gestaltung

Immer wieder beschäftigen Zeugnisklagen die Arbeitsgerichte zum großen Missvergnügen (fast) aller Beteiligten. Dies liegt zum einen in dem Umstand begründet, dass auf den beiden Seiten des Arbeitsverhältnisses regelmäßig recht unterschiedliche Vorstellungen über die Qualität der Leistung und Führung des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin bestehen, in deren Rahmen sich die Parteien oft auch an alten Konflikten abarbeiten.

Zum anderen ist durch die umfangreiche Rechtsprechung zur Zeugnissprache eine Art Verschwörungstheorie sui generis entstanden: Aus der Unkenntnis der arbeitsgerichtlichen Argumentationen zur Zeugnissprache heraus hat sich ein ganzer Markt von Entschlüsselungsspezialisten entwickelt, die mit geradezu spirituellem Eifer nach dem geheimen Sinn von Wörtern und Zeichen suchen.

2. Das Urteil

Wie erfrischend deshalb, dass das LAG Rheinland-Pfalz in einer Entscheidung vom 9. November 2017 mit drei weit verbreiteten Irrtümern über Ansprüche an ein Zeugnis und deren (Nicht-)Berechtigung noch einmal aufgeräumt hat.

Die Parteien hatten sich im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses u.a. darauf verständigt, dass die Beklagte dem Kläger ein Zeugnis mit einer guten Bewertung von Leistung und Verhalten (stets zur vollen Zufriedenheit/jederzeit einwandfrei) erteilt. Der Kläger war weder mit dem Inhalt noch der Form des sodann erteilten Zeugnisses einverstanden und erhob Klage. Der Arbeitgeber wurde vor dem Arbeitsgericht zur Erteilung eines Arbeitszeugnisses mit einem konkreten Wortlaut und der Note „gut“ auf einem bestimmten Papier verurteilt. Der beklagte Arbeitgeber akzeptierte die Entscheidung, der Kläger legte wegen des abgewiesenen Teils seiner Klage Berufung ein und verlangte u.a., ihm ein ungeknicktes und ungetackertes Zeugnis mit einer Dankes- und Bedauernsformel auf einem anderen Geschäftspapier des Arbeitgebers mit Angabe zusätzlicher Firmenkontaktdaten zu erteilen.

Das LAG Rheinland-Pfalz wies die Berufung des Klägers als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet ab.

Unzulässig sei die Berufung, so das LAG, soweit der Kläger die Verwendung eines „im unteren Bereich die Firmenkontaktdaten beinhaltenden Briefkopfes der Beklagten“ verlange. Denn das von der Beklagten verwendete Geschäftspapier enthalte die nach § 35a Abs. 1 GmbHG vorgeschriebenen Pflichtangaben, insoweit liege deshalb bereits keine für eine Berufung notwendige Beschwer des Klägers vor.

Ein Anspruch des Klägers auf ein ungeknicktes und ungefaltetes Zeugnis sei nicht begründet. Der Arbeitgeber erfülle den Zeugnisanspruch nach der Rechtsprechung des BAG auch durch ein zweimal gefaltetes Zeugnis jedenfalls dann, wenn das Original kopierfähig sei und die Knicke sich auf den Kopien nicht abzeichneten. Außerdem habe der Kläger durch einen völlig überfüllten Briefkasten bei der ersten Zustellung der Beklagten und ungeklärte Knicke bei einer zweiten Zustellung, obwohl die Beklagte in beiden Fällen das Zeugnis ungeknickt in einem verstärkten DIN-A4 Bogen versendet habe, und seine nachfolgende Weigerung, die dritte Version bei der in der Nähe gelegenen Beklagten abzuholen, auch die Grenze zum Rechtsmissbrauch erreicht.

Auch ein ungetackertes Zeugnis schließlich könne von einem Arbeitnehmer nicht verlangt werden. Das Tackern eines mehrseitigen Zeugnisses habe keine verschlüsselte, für den Arbeitnehmer negative Bedeutung, es handele sich nicht um ein unzulässiges Geheimzeichen, aus dem sich die Unzufriedenheit des Arbeitgebers mit dem Arbeitnehmer ablesen lasse.

Schließlich habe der Kläger auch keinen Anspruch auf eine Dankes- und Bedauernsformel (die sogenannte „ausführliche Schlussformel“, Anm.). Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Berufungskammer folge, sei der Arbeitgeber nicht verpflichtet, im Schlusssatz des Zeugnisses persönliche Empfindungen wie Dank oder Bedauern auszusprechen. Aus der in dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vereinbarten Gesamtnote „gut“ lasse sich ein solcher Anspruch des Klägers ebenfalls nicht herleiten. Denn auch wenn sich der Arbeitgeber zur Erteilung eines Zeugnisses verpflichte, dessen Inhalt einer bestimmten Notenstufe entspreche, bleibe es ihm überlassen, das Zeugnis im Einzelnen abzufassen.

3. Praxistipp

Die Empfehlung ist nicht, missliebige Arbeitnehmer von jetzt an mit geknickten, getackerten und auf das Notwendigste beschränkten Schlusssätzen zu verabschieden. Aber die Entscheidung erklärt kurz und prägnant, auf welche Ausprägungen es beim Zeugnis entgegen weitläufiger Meinung nicht ankommt und warum.

Zur Bedeutung von Zeugnissen in Zeiten der Digitalisierung und social media, die zu völlig anderen Beurteilungssystemen von Bewerbern geführt haben, kann man Arbeitgebern nur empfehlen, sich bis zur Grenze der Unwahrheit oder völligen Unerträglichkeit nicht über Details von Zeugnissen zu streiten, sondern die ersparte Zeit und Energie für konstruktive Themen einzusetzen. Dies gilt umso mehr, als die Note „befriedigend“ („zu unserer vollen Zufriedenheit“) von Arbeitnehmern nur dann angegriffen werden kann, wenn sich aus vorangegangenen Beurteilungen eine bessere Note ergibt (z.B. aus einem Zwischenzeugnis), ein befriedigendes Zeugnis heute aber schon für sich spricht.

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